Ganz bewusst erst jetzt drückte
eine kleine Pfote den roten Knopf auf der Fernbedienung und der
Bildschirm wurde in eine bedrückende Schwärze getaucht.
„Seht Ihr warum wir die Menschen
meiden? Es macht keinen Unterschied auf welchem Planeten sie leben,
sie gehen immer über Leichen um mehr und mehr Macht zu bekommen.
Habt Ihr jetzt endlich gesehen was Ihr herausfinden wolltet und wir
Euch schon euer ganzes Leben lang beibringen zu versuchen?“ Bevor
Xii ihr noch weiter zureden konnte, brachte Lilly sie mit einer Geste
zum Schweigen. Jeder Muskel in ihrem Leib war angespannt und nur mit
Mühe gelang es ihr die Tränen zurück zu halten. Sie musste raus
hier, Morendras finden und dann diesen Planeten verlassen. Sie hatte
zwar nicht das gefunden was sie sich erhofft hatte, aber zumindest
die Gewissheit das sie im Unrecht, und die Hoffnung an die sie sich
geklammert hatte, eine Lüge gewesen war.
Mit gesenktem Blick erhob sich die
Ellydre und verließ das Zimmer durch die Tür. Sie war so
durcheinander das sie die Treppe wie in Trance hinunter polterte und
Xii Probleme hatte mit ihr Schritt zu halten. Gerade als diese rufen
wollte das sie doch auf sie warten sollte, versperrten ihr zwei in
Pantoffeln gekleidete Beine den Weg. Rasch huschte sie hinter die
Kommode die im Flur stand und linste durch säuberlich aufgereihten
Schuhe hindurch zu der Frau. Zum Glück war sie unbemerkt geblieben,
aber Lilly eindeutig nicht.
„Oh! Ähm... Lilly richtig?“
Erschrocken fuhr sie herum als ihre Fingerspitzen gerade die
Türklinke erreicht hatten. Hinter ihr betrachtete eine Frau mit
welligen, blonden Haaren sie sorgenvoll und wischte ihre Hände an
einem Küchenhandtuch trocken. Kyara hatte als Mutter wohl
ausgeprägte Sinne wenn es darum ging Traurigkeit in der Umgebung zu
wittern auch wenn die betroffene Person es noch so eilig hatte das
Haus zu verlassen. Trotz des dämmrigen Lichtes im Hausflur entging
ihr nicht das feuchte Echo einer Träne in dem Gesicht der jungen
Frau. Unter einem leisen Seufzen trat sie wenige Schritte näher und
schenkte ihrem Gegenüber ein warmes Lächeln. „Keine Ahnung was
mein Sohn wieder angestellt hat, aber nimm dir seinen schroffen Ton
nicht so zu Herzen Kind. In seinem Inneren ist er ein netter Junge,
er war auch mal ganz anders.“
Lillys Füße waren wie
angewurzelt, noch immer ruhten ihre Fingerkuppen auf der Türklinke,
bereit dieses Haus und die Welt hinter sich zu lassen, auch wenn sie
Tag und Nacht nach dem Stab suchen musste. Nach ein paar knappen
Atemzügen schüttelte sie den Kopf und die breiten Strähnen die zu
beiden Seiten ihres Gesichtes verliefen, baumelten einen Augenblick
lang weiter.
„Entschuldigen Sie bitte, das
ist es gar nicht. Ich...“ Eine warme Hand berührte ihren Unterarm
und zog sie langsam und doch bestimmt von der Tür fort. „Na na na.
Jetzt komm erst einmal mit mir und trink einen Schluck Tee, das wird
dir sicher gut tun.“ Protest war zwecklos, die fürsorgliche Kyara
hatte in ihrem ganzen Leben noch keinen Widerstand geduldet und
schleppte Lilly in die anliegende, gemütliche Küche. Ein paar
frisch gewaschene Teller wurden eilig verstaut bevor sie ihrem Gast
eine Tasse duftenden Kräutertees eingoss. Nachdem sie ihr gegenüber
an dem kleinen Esstisch Platz genommen hatte seufzte Kyara laut und
streckte die Füße weit von sich aus. Erneut bogen sich ihre
Mundwinkel zu einem leichten Lächeln. „Es freut mich wirklich sehr
das du hier bist.“
Lilly blinzelte völlig perplex
und starrte sie aus fragenden Augen an. „Was?“
„Schon eine ganze Weile ist es
her das Philipp wieder Besuch mit her gebracht hat. Die meiste Zeit
glotzt er nur blöd auf seinen Computer und möchte anscheinend
nichts mehr mit dieser Welt hier zu tun haben. Immerhin scheint er
sein Studium nicht zu vernachlässigen. Allerdings muss ich mich wohl
bei dir für die Unordnung in seinem Zimmer entschuldigen, das ist
eine furchtbare Angewohnheit die er sich da angelacht hat.“ Genervt
verdrehte die Mutter ihre Augen und nippte an ihrem Tee.
„Oh, an seiner Art zu hausen
habe ich mich nicht gestört. Sie müssen sich nicht entschuldigen,
er ist immer nett zu mir. Auf seine Weise.“ Lilly wollte ihren
Blick gerade senken um ihr Spiegelbild in der dampfenden Flüssigkeit
zu betrachten als eine Hand vor ihrer Nase herum wedelte.
„Du musst dich nicht so förmlich
ausdrücken! Es ist ein Saustall und das kann man auch nicht schön
reden. Und wenn er nett zu dir wäre, hättest du wohl nicht
geweint.“ Bevor Widerspruch eingelegt werden konnte plapperte Kyara
einfach weiter. „Phili würde mich steinigen wenn er wüsste das
wir hier über ihn reden, aber ich möchte das du weißt das er ein
gutes Herz hat, auch wenn er das nicht so gerne zeigt. Habe etwas
Geduld mit ihm, er hat eine sehr unschöne Erfahrung mit einem
anderen Mädchen gemacht. Sie war alles für ihn und er hat stets das
Beste für sie getan, doch sie war nicht sehr ehrlich mit ihm und hat
sich hinter seinem Rücken mit einem anderen Kerl getroffen. Leider
blieb es nicht bei: einfach nur getroffen. Das hat ihn sehr
mitgenommen und seitdem ist seine Art etwas harsch und er
vernachlässigt einiges.“ Mit den letzten Worten beugte sie sich
über den Tisch und ergriff Lillys Hand um sie leicht zu drücken.
„Manchmal tun Menschen grausame Dinge ohne über ihre Folgen
nachzudenken, und wenn man verletzt wurde, möchte man nur noch das
Schlechte in den Herzen Anderer sehen. Aber man darf deshalb noch
lange nicht alle in eine Schublade stecken und denken sie wären
gleich. Ich zumindest finde du machst einen guten Eindruck, auch wenn
deine Haarfarbe echt abgefahren ist.“ Unter einem lauten Lachen
lehnte Kyara sich wieder in ihrem Stuhl zurück und drehte die Tasse
in ihren Händen.
Lilly dachte einen Moment lang
über ihre Worte nach und probierte derweil einen Schluck des
Kräutertees, die Wärme welche sich in ihrem Magen ausbreitete tat
ihr gut und sie fühlte sich in der Gesellschaft von Philipps Mutter
richtig wohl.
Sogar ihr Lächeln wirkte langsam
nicht mehr so traurig. „Ja, auf die Farbe werde ich hier oft
angesprochen. Aber sagen Sie... warum tun Menschen diese grausamen
Dinge denn erst? Wie kommen sie auf so etwas?“
Auf die Frage folgte ein lautes Scharren als Kyara sich nachdenklich den Hinterkopf kratzte und den Kopf hin und her wog. „Och, aus den verschiedensten Beweggründen. Macht, Geld, einfach das Bedürfnis immer etwas Besseres haben zu wollen als alle anderen. Manchmal vergessen die Leute das in uns allen das gleiche Blut fließt, und das gleiche Herz schlägt.
Auf die Frage folgte ein lautes Scharren als Kyara sich nachdenklich den Hinterkopf kratzte und den Kopf hin und her wog. „Och, aus den verschiedensten Beweggründen. Macht, Geld, einfach das Bedürfnis immer etwas Besseres haben zu wollen als alle anderen. Manchmal vergessen die Leute das in uns allen das gleiche Blut fließt, und das gleiche Herz schlägt.
Aber bei all dem Schlechten dürfen
wir auch nie vergessen wie viel Gutes auch in uns steckt.“ Wieder
machte sie diese wegwerfende Handbewegung und ihre Stimme wurde
wieder sanfter. „Das Leben ist zu kurz um Trübsal zu blasen, nimm
ihn an der Hand und geht raus. Unternehmt etwas schönes, habt Spaß!“
Eine dunkle Stimme räusperte sich
hinter ihr und als sie über die Schulter blickte, sah sie Philipp im
Türrahmen stehen, mit seinem typisch, grimmigen Gesichtsausdruck.
„Über was quatscht ihr denn hier? Ich habe dir schon zwanzig Mal
gesagt das sie nur eine Studienkollegin ist! Wir haben an einem...
Projekt gearbeitet.“
Die Hände in die Hüften gestemmt
erhob sich Kyara von ihrem Stuhl und funkelte ihren vorlauten Sohn
wütend an. „An einem Projekt gearbeitet was? Und wieso ist dann
dieses süße Ding unter Tränen zur Haustür gerannt um zu türmen?
Behandle sie gefälligst
vernünftig sonst kannst du was erleben. Ist das klar? Sie macht mir
nämlich einen sehr anständigen Eindruck und weinende Mädels dulde
ich in meinem Haus nicht!“
Philipp entgleisten seine Züge, voller Überraschen wanderte sein Blick von der mutierten Furie weiter zu dem verblüfften Gesicht seiner Außerirdischen. „Geweint?“
Philipp entgleisten seine Züge, voller Überraschen wanderte sein Blick von der mutierten Furie weiter zu dem verblüfften Gesicht seiner Außerirdischen. „Geweint?“
Lilly hob beschwichtigend ihre
Hände und gab sich Mühe lockerer zu sein als die Milchzähne einer
Sechsjährigen. „Ach das! Es ist schon wieder gut, streitet euch
bitte nicht!“ Bevor zwischen Mutter und Sohn noch tatsächlich
Funken sprühten, eilte sie auf Philipp zu und bedankte sich herzlich
bei Kyara. „Ich danke Ihnen für den Tee und die netten Worte!
Diese werde ich mir gut merken und sicher niemals vergessen.“ Sie
nahm den Griesgram an der Hand um wieder mit ihm nach oben zu gehen,
zum Glück war dieser noch viel zu verwirrt um sich dagegen zu
wehren.
Jene die allein in der Küche
zurück geblieben war verschränkte die Arme vor der Brust und nickte
stolz. Ja sie war sehr zufrieden mit sich selbst.
Das kleine, pelzige Etwas das aus
dem Flur die ganze Unterhaltung mitbekommen hatte, war nicht so froh
über den Ausgang des Abends. Vielmehr hatte sie darauf gehofft das
ihr Schützling nun mit mehr Motivation an die Suche gehen würde
damit sie so schnell wie möglich wieder nach Hause zurück kehren
konnten.
Die Zimmertür zu dem Saustall
schloss sich mit einem leisen Klicken bevor ein erdrückendes
Schweigen einsetzte. Lilly setzte sich im Schneidersitz inmitten des
Chaos hin und betrachtete Philipp neugierig, der sichtlich mit sich
haderte. Schließlich war auch er es der endlich das Schweigen brach,
während seine Augen einen Punkt an der Decke fixierten. „Du musst
doch nicht gleich weinen... Sorry wenn ich etwas grob war. Im Moment
habe ich einfach viel um die Ohren.“
Eigentlich hätte er jetzt ein
angebrachtes „Ist schon ok“ oder „Ach wir haben alle mal
schlechte Tage“ von ihr erwartet, aber in den letzten Tagen geschah
vieles nicht so ganz nach seinem Plan.
„Das kannst du wieder gut machen
indem du mir meinen Wunsch erfüllst.“ Das freche Grinsen in ihrem
Gesicht wirkte völlig untypisch, dennoch ließ es keinen Zweifel
offen das die Ellydre das Gesagte absolut ernst meinte. „Du sollst
nicht mit mir um die ganze Welt reisen, aber ich möchte ein wenig
die Gegend sehen, mir Eindrücke machen und vielleicht finden was ich
suche. Im Gegenzug verspreche ich auch mir Mühe zu geben mit deinen
Regeln, und das du Zeit genug haben wirst deine wichtigen Dinge zu
regeln. Was sagst du?“
Im ersten Moment war er alles
andere als einverstanden mit ihrem Vorschlag, doch ein Blick in ihr
trauriges Gesicht mit einer zitternden Unterlippe genügte ihm schon
vollkommen. Philipp gab sich geschlagen und willigte mit schwerem
Herzen ein
Tag um Tag verlor der Kalender und
nun waren bereits wenige Wochen vergangen das eine junge Frau und ein
grantiger, kleiner Fuchs vom Himmel, mitten in das Leben des Nerds
Philipp gefallen waren.
Während er anfangs noch mit
bitterem Beigeschmack sein Schicksal eher als eine Last empfand,
hatte er sich schon langsam an seine neue Gesellschaft gewöhnt. Mehr
oder Weniger. Des öfteren bekam er Gelüste Lilly einfach in der
Regentonne vor dem Haus zu ertränken wenn er am Morgen erwachte und
sie mal wieder bei ihm in seinem Bett lag. Oder wenn er unachtsam
gewesen war und sie wieder einen dieser schmuddeligen Filme geschaut
hatte und danach Gelüste bekam das Gleiche mit ihm zu probieren.
Natürlich blieb es auch nicht bei der Abmachung das wenn er zur Uni
oder zu seinem Arbeitsplatz im Altenheim ging, sie diese Zeit nutzte
um den Stab Morendras zu suchen von dem noch immer jegliche Spur
fiel.
Viel lieber schlich sie ihm nach
und stellte alles auf den Kopf, sodass er ernsthaft überlegte die
Stadt oder gar das Land zu wechseln nachdem sie wieder in ihre Welt
zurück gekehrt war. Wunderlich betrachtete er sich jeden Morgen im
Spiegel und rechnete damit eines Tages weißes, statt dunkelbraunem
Haar zu sehen.
Immerhin hielt er sich an seinen
Teil der Abmachung und machte regelmäßig Ausflüge mit ihr.
Eingestehen das es auch ihm wieder, nach so langer Zeit in seinem
Zimmer, Spaß bereitete, würde er natürlich nicht.
Nur die Laune des kleinen Fuchses
Xii wollte sich nicht bessern. Es könnte auch damit zusammen hängen
das Lilly mittlerweile eine Handtasche organisiert hatte in der ihre
Leibwache zu ihrem eigenen Schutz sitzen musste um neugierigen
Blicken zu entgehen. Zudem waren Füchse leider in den meisten
öffentlichen Gebäuden nicht geduldet.
Dieser Tag war einer von jenen an
dem er etwas weiter fort mit ihr gefahren war, und erst am Abend
wieder heim kehrte. Alles war wie immer, sie plauderte ihm schon die
ganze Rückfahrt die Ohren zu, schwärmte von diesem und von jenem
was sie gesehen hatte und er schaltete wie üblich auf Durchzug. Doch
als er seinen Schlüssel in das Schloss der Haustür schob und es
sich nach der ersten Umdrehung schon nicht öffnen wollte, merkte er
das etwas komisch war. Erst bei der zweiten Umdrehung klickte es und
die Tür ging auf. Es war abgeschlossen. Dabei war um diese Zeit
immer jemand hier.
Nachdem sie eingetreten waren
merkte er das die Schuhe seiner Eltern und seiner Schwester nicht im
Flur standen, nun gut, waren die drei eben mal ausgegangen, warum
auch nicht?
Müde zog Philipp seine Schuhe aus
und endlich hörte auch seine Begleiterin auf ständig ihre Worte auf
ihn niederprasseln zu lassen. Für einen kleinen Augenblick
zumindest. „Phil, was ist das hier? Es blinkt ein rotes Licht, das
war sonst nie so. Hat das was zu bedeuten?“ Verwirrt und leicht
genervt bezüglich ihrer dummen Frage linste er über ihre Schulter
und betrachtete das Telefon. „Das heißt nur das jemand hier
angerufen hat als keiner zu Hause war. Vielleicht hat die Person ja
eine Nachricht hinterlassen.“ Nachdem er die Taste zum abspielen
der Nachricht betätigt hatte lenkten seine Füße ihn in Richtung
Küche. Da Ellydren nicht aßen, gönnte sie ihm auch kaum Zeit dazu
seine Gelüste zu stillen. Sein Hunger war schlagartig vergessen,
seine Füße taten nicht einen Schritt mehr als er aus dem
Lautsprecher des Telefons die panische Stimme seiner Mutter vernahm.
„Philipp! Wenn du nach Hause
kommst mach dich sofort auf den Weg ins Krankenhaus! Louisa wurde von
einem Betrunkenen angefahren... Sie... sie macht einfach nicht mehr
ihre Augen auf...“ Kyaras Stimme brach und man hörte nur noch
lautes Schluchzen, kurz danach gab ihm die ruhige Stimme seines
Vaters durch in welchem Krankenhaus sie untergebracht waren und das
er bitte vorsichtig fahren soll.
Der Schrecken fuhr ihm durch Mark
und Bein, es gelang ihm nicht auch nur einen klaren Gedanken zu
fassen bis Lilly ihn an den Schultern packte und kräftig
durchschüttelte. „Hey! Hörst du mir zu! Lass uns sofort los!
Deine Schwester braucht uns!“ Stotternd brachte er nur ein paar
Wortfetzen heraus und hastete in der nächsten Sekunde los zu seinem
Auto. Lilly und Xii konnten gerade noch die Tür schließen als er
schon mit quietschenden Reifen den Rückwärtsgang einlegte. „Bitte
mach langsam! Es hilft uns nicht, wenn dir nun auch noch etwas
passiert.“ Besorgt legte sie ihm eine Hand auf seinen Oberschenkel
und war deutlich beruhigter als er das Gaspedal nicht mehr all zu
feste durchdrückte.
Die ganze Fahrt über brachte er
keinen Ton heraus, in seinem Kopf ratterten so viele Gedanken wild
durcheinander. Oft hatte er sich mit seiner Schwester in den Haaren
und die meiste Zeit sahen sie sich mehr oder weniger nur noch im
Vorbeigehen, aber wenn es drauf ankam waren sie immer füreinander da
gewesen.
Das Krankenhaus war schnell
erreicht und die zwei rannten die letzten Meter zum Empfang. Xiis
Kopf wurde von Lilly immer wieder unsanft runter in die Tasche
gedrückt, Ärger über den Schmuggel eines Tieres ins Innere war das
letzte was sie gerade gebrauchen konnten. Während Philipp sich am
Empfang noch kurz nach der Zimmernummer erkundigte ließ die Ellydre
ihren Kopf schweifen, sie konnte es nicht erklären aber irgendwas an
diesem Ort bereitete ihr tief im Inneren großes Unwohlsein. Eine
unsichtbare, kalte Faust ballte sich in ihrem Magen schmerzhaft
zusammen. Dieser Ort wirkte auf sie als wolle er sie erdrücken mit
all seinem Kummer und Leid.
Die Beiden bahnten sich ihren Weg
durch Korridore und Treppen und das komische Gefühl verschlimmerte
sich mehr und mehr bis ihr richtig Elend zumute war und die Farbe
ihrem Gesicht entwich. Sie wusste das hinter jeder dieser Türen
Menschen mit Ängsten und Hoffnung kämpften. Ihr Volk konnte
Krankheiten und Schmerzen „spüren“, und zu wissen das sie all
diese an jenem Ort nicht nehmen konnte, entwickelte es sich schnell
zu einer Last für sie.
Als sie die richtige Tür erreicht
hatten ordnete sie ihre Gedanken wieder und atmete tief durch. Kaum
das sie eingetreten waren schluchzte Kyara wieder auf. Die Eltern
saßen am Bett ihres Kindes das unter all den Schläuchen und
Verbänden kaum noch zu erkennen war. Die aufgelöste Mutter schloss
ihren Sohn in die Arme und vergrub unter herzzerreißendem Weinen ihr
Gesicht in seiner Schulter. Irgendwas wollte sie ihm sagen aber ihre
Stimme zitterte so sehr das keines ihrer Worte zu verstehen war.
Metthew fiel es schwer den Blick von Louisa fort zu reißen, auch
wenn er ruhig und gelassen wirkte, sah man das Leid das er empfand
deutlich in seinen Augen. „Sie war auf dem Heimweg und ein
betrunkener Autofahrer hatte die Kontrolle über seinen Wagen
verloren. Es geriet ins Schlingern und erwischte sie. Das geschah
schon heute morgen und seitdem haben die Ärzte sie mehrfach
operiert. Sie wacht aus dem Koma nicht mehr auf. Louisa hat mehrere
Knochenbrüche und innere Verletzungen davon getragen aber über
ihren genauen Zustand hat uns noch niemand informiert.“
Metthew legte seiner Frau beide
Hände auf die Oberarme und zog sie an sich, seine müden Augen
erwiderten den schockierten Blick seines Sohnes. „Deine Mutter
brauch etwas frische Luft. Wir gehen kurz raus, du bist ja jetzt
hier.“ Er drückte kurz die Schulter von Philipp und verließ das
Zimmer. Eine gespenstige Stille hielt Einkehr, nur die Geräte die
seine Schwester beatmeten piepsten leise vor sich hin. Vorsichtig
ging er um das Bett herum und betrachtete den kleinen Teil des
Gesichts, der durch die dicken Verbände überhaupt noch zu sehen
war. Das Atmen fiel ihm schwer als er seine Hand an ihre Wange legte
und sie keine Regung von sich gab. Philipp keuchte leise auf und
lachte kurz. „Wenn sie später Fotos von sich sieht wird sie sicher
ausflippen und herumschreien. Sie ist doch immer so sehr auf ihr
Äußerstes bedacht, die Frisur muss immer sitzen, die Handtasche
muss zu den Schuhen passen... eine richtige Tussi. Aber oberflächlich
war sie nie. Sie hilft jedem Freund in der Not und wenn sie ihr
letztes Hemd hergeben muss.“ Hastig wischte er sich ein Staubkorn
aus dem Augenwinkel.
Lilly hatte ihn eine ganze Weile
lang schweigend betrachtet, nun trat sie an seine Seite. Der Himmel
verfärbte sich bereits und war von rosafarbenen Wolken durchzogen,
der Raum wurde in ein angenehmes Licht getaucht das diesem Ort kaum
Gemütlichkeit schenkte. Sie umschloss eine seiner zitternden Hände
fest mit der ihren, ihr Blick ruhte auf Louisa. Eine junge Frau die
sie kaum gesehen hatte durch das ganze Versteckspiel der letzten
Wochen.
Philipp entzog ihr seine Hand und
zog zwei Stühle heran, den einen bot der Lilly an und ließ sich
dann selbst nieder.
Auch Xii traute sich vorsichtig
aus der Tasche als ihre Trägerin sie auf dem Boden abstellte. Den
Menschen hatte sie nie gemocht, aber ihn nun so leiden zu sehen
machte selbst ihr Herz schwer.
Nur eine Geste trennte Lilly von
der Gewissheit die in ihr anschwoll, eine kurze Berührung, und doch
kostete es sie enorm viel Überwindung.
Das Piepsen der Geräte schien
immer lauter zu werden so hoch war ihre Anspannung als sie die Hand
nach dem Körper von Louisa ausstreckte. Nur eine winzige Distanz
trennte sie noch, für die sie eine gefühlte Ewigkeit brauchte.
Ihre Handfläche legte sich sanft
auf die Brust der Verletzten und das Gefühl das sie übermannte riss
ihr fast den Boden unter den Füßen hinfort. Alles um sie herum
explodierte, der Schmerz, ihre Lungen brannten wie Feuer. Nur mit
Mühe konnte sie die Hand wieder zurück ziehen, die kalte Faust in
ihrem Inneren ballte sich noch fester und erschwerte ihr das Atmen.
Neben ihr fragte eine Stimme leise ob alles in Ordnung sei.
Philipp hatte von der Flut der
Gefühle nichts mitbekommen, für ihn war nur ein kurzer Augenblick
vergangen indem Lilly ihre Hand auf Louisa gelegt hatte und
plötzlich ein Gesicht machte als ob sie einen Geist gesehen hatte.
Die Zunge schwer wie Blei, stand
Lilly einfach nur da und konnte die Augen nicht mehr von der jungen
Frau nehmen. Ihre Stimme erklang wie ein leises Flüstern das man
kaum hätte wahr nehmen können wenn es in dem Raum nicht so still
gewesen wäre.
„Sie liegt im Sterben.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen